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Geteilte Führung: Wie geht Topsharing?

Kinder oder Karriere? Ist das wirklich eine zwingende Entscheidung, die man – vor allem als Frau – treffen muss? Nein, lautet die Antwort. Es gibt Arbeitsmodelle, die auch Führungskräften Teilzeit erlauben. Topsharing zum Beispiel, das Jobsharing einer Kaderposition. Geht das überhaupt? Und wie. Careerplus lebt es vor.

04. November 2016

Sie sind weiblich und teilen sich im Teilzeitpensum die Geschäftsleitung: Gleich in doppelter Weise stellen Sie – auch in der heutigen Zeit noch – eine Ausnahme dar. Wie kam es, dass bei Careerplus Frauen gleichzeitig auf dem Chefsessel sitzen?

Jacqueline Scheuner: Der Entscheid, zu zweit die Geschäftsleitung zu übernehmen, wurde nicht über Nacht gefällt. Bis vor wenigen Monaten besetzte ich die Position der Geschäftsleitung allein in einem Teilzeitpensum von 80 Prozent, da ich auch für meine Kinder da sein möchte. Wir diskutierten intern lange darüber, was in einem wachsenden Unternehmen wie unserem die Anforderungen an diese Position sind. Es kristallisierte sich heraus, dass die Aufgaben der Geschäftsleitung sowohl inhaltlich wie auch zeitlich nur schwer von einer Person im Teilzeitpensum zu erfüllen sind. Ein Topsharing ist die perfekte Lösung für uns. So können wir auf die Stärken und Fähigkeiten von zwei Personen zurückgreifen.
Jana Jutzi: Gleichzeitig lässt sich mit dieser Lösung auch eine langfristige Nachfolgelösung vorbereiten.

Ein Topsharing ist die perfekte Lösung für uns. So können wir auf die Stärken und Fähigkeiten von zwei Personen zurückgreifen."

Jacqueline Scheuner, Geschäftsführerin Careerplus

Wie organisieren Sie den gemeinsamen Arbeitsalltag? Wie teilen Sie sich Ihre Aufgaben und Ihre Arbeitszeit auf?

JJ: Wir haben unsere Aufgabenbereiche so abgegrenzt, dass wir je die Hauptverantwortung für einzelne Bereiche tragen: Ich bin für den operativen Teil verantwortlich, Jacqueline für den strategischen. So können wir nach wie vor selbständig und effizient arbeiten.
JS: In wöchentlichen telefonischen Meetings besprechen wir aktuelle Themen und können die Meinung der anderen einholen. Mindestens einmal im Monat treffen wir uns persönlich, um uns auszutauschen und wichtige Entscheide zu fällen. Bei Abwesenheiten vertreten wir uns gegenseitig.

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Jana Jutzi

Welche Vorzüge bietet Ihnen die geteilte Geschäftsleitung?

JS: Für mich ergibt sich durch das Jobsharing eine optimale Balance. So werde ich sowohl meinem Berufs- wie auch meinem Familienleben gleichermassen gerecht – ohne das Gefühl zu haben, immer an der anderen Front gebraucht zu werden. Beide Lebensbereiche profitieren von meiner erhöhten Flexibilität und Zufriedenheit.
JJ: Das sehe ich gleich. Ausserdem finde ich es wertvoll, dass ich mich im häufig etwas einsamen Führungsalltag mit jemandem ganz offen über alles austauschen und bei Bedarf eine Zweitmeinung einholen kann.

Die Motivation von Mitarbeitenden steigt, die in Jobsharing-Modellen arbeiten"

Jana Jutzi, Geschäftsführerin Careerplus

Warum sollte ein Unternehmen überhaupt Jobsharing ermöglichen?

JS: Der Hauptvorzug für das Unternehmen liegt auf der Hand: Zwei Personen verfügen grundsätzlich über mehr Kompetenzen und Erfahrung als eine Person. Das ist in der heutigen komplexen und informationsüberfluteten Welt ein wichtiger Wettbewerbsvorteil.
JJ: Eine Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz zeigt, dass die Motivation von Mitarbeitenden steigt, die in Jobsharing-Modellen arbeiten. Ausserdem bleibt durch die Aufteilung der Führungsaufgaben mehr Zeit für operative und fachliche Aufgaben. Das gaben rund 70 Prozent der befragten Unternehmen an. Unsere Mitarbeitenden schätzen es zudem, dass immer eine von uns da ist, um Fragen zu beantworten oder wenn rasch Entscheidungen gefällt werden müssen.

Wie lösen Sie Konflikte, wenn Sie nicht gleicher Meinung sind?

JJ: In der Firmenkultur von Careerplus wird eine offene und klare Kommunikation gelebt und gefördert. Das vereinfacht es, schwierige Themen anzusprechen und Konflikte lösungsorientiert anzugehen.
JS: Mit zwei Meinungen wird ausserdem sichergestellt, dass man bei der Entscheidungsfindung alle Blickwinkel berücksichtigt. Natürlich ist auch eine gewisse Kompromissbereitschaft gefordert. In einem Jobsharing darf man sich selbst nicht zu wichtig nehmen oder sich für unersetzlich halten. Allerdings sind das alles Eigenschaften, die auch in anderen Bereichen des Arbeitsalltags und vor allem für einen kooperativen Führungsstil notwendig sind.

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Jacqueline Scheuner

Was glauben Sie, woran liegt es, dass Kaderpositionen in der Schweiz zum grössten Teil noch immer mit Männern – meist in alleiniger Verantwortung – besetzt werden?

JJ: Unternehmen sollten auch Männern signalisieren, dass flexible Arbeitsmodelle möglich sind. Denn die erwähnte Studie besagt, dass rund ein Drittel der Männer an Jobsharing interessiert wären. Der Grund, warum so wenige danach fragen: Sie vermuten, dass die Firmenleitung oder das Team diesem Wunsch negativ gegenüberstehen.
JS: Ein weiteres Problem scheint mir das weiterhin stark verbreitete «Anwesenheitsdenken»: Nur wer mindestens zwölf Stunden pro Tag am Pult sitzt, zeigt nach diesem Denkmuster wirklich Einsatz für das Unternehmen. Ob das der Effizienz, der Arbeitsqualität oder der Firmenkultur förderlich ist, stelle ich aber in Frage. Für Frauen sind diese Anwesenheitserwartungen nach einer Familiengründung meist weder realisierbar noch erstrebenswert. Sehr wohl bleiben die Frauen aber einsatzbereit und kompetent – nur ist mehr Flexibilität in der Arbeitseinteilung notwendig.

Sie beide arbeiten zu jeweils 80 Prozent und haben Familie mit Kindern. Wie bringen Sie Job und Privatleben unter einen Hut?

JS: Eine gute Organisation ist das A und O – in beiden Bereichen. Privat braucht man sicher eine gute Unterstützung. Man muss aber auch loslassen können und darauf vertrauen, dass andere Bezugspersonen die Kinder genauso gut umsorgen. Im Arbeitsalltag muss man Prioritäten setzen.
JJ: Und natürlich sollte man flexibel sein. Gelegentlich muss eine Abendveranstaltung oder ein mehrtägiges Meeting drin liegen. Andererseits will man natürlich den ersten Schultag oder die Kindergartenaufführung der Tochter nicht verpassen. Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen: Das Familienleben sollte ein Ausgleich zum Beruf sein – und umgekehrt.

Durch Teilzeitarbeit kann ein Arbeitgeber wichtige Schlüsselpersonen langfristig binden und profitiert somit von deren Fachwissen und den Fähigkeiten."

Jacqueline Scheuner, Geschäftsführerin Careerplus

Ist Topsharing ein Arbeitsmodell, das sich in Schweizer Unternehmen durchsetzen wird?

JJ: Um noch einmal auf die Studie zurückzukommen: Im oberen und mittleren Kader beträgt der Anteil an Jobsharing-Beschäftigten über 8 Prozent, bei Mitarbeitenden ohne Kaderfunktion liegt die Quote bei 3 Prozent. Jobsharing scheint also im Kaderbereich durchaus an Bedeutung zu gewinnen.
JS: Durch Teilzeitarbeit kann ein Arbeitgeber wichtige Schlüsselpersonen langfristig binden und profitiert somit von deren Fachwissen und den Fähigkeiten. Gerade im Hinblick auf den viel zitierten Fachkräftemangel ist es auch gesellschaftlich von grosser Bedeutung, qualifizierte Frauen im Arbeitsmarkt zu behalten. Dazu braucht es Flexibilität und den Mut von beiden Seiten, neue Wege zu beschreiten und Jobsharing-Modelle in der eigenen Organisation auszuprobieren.