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Ungenutztes Potenzial: Jobsharing

Jobsharing ist viel mehr als das reine Aufteilen von Stellenprozenten. Für ein Unternehmen bedeutet es vor allem ein Zuwachs an Produktivität, Wissen und Kompetenzen. Und: Geteilte Stellen fördern die Gleichstellung und sind eine innovative Lösung für Nachfolgeregelungen. Wo liegen die Herausforderungen?

30. August 2021

Jobsharing ist in Schweizer Unternehmen immer noch die Ausnahme. Es sei zu kompliziert, zu teuer, zu ineffizient, lauten die Vorurteile. Dabei wäre es vor allem eine Chance für die Unternehmen, insbesondere für KMU. Einer der wichtigsten Gründe: Jobsharing schliesst die Lücke zwischen Teilzeitarbeit und Karriere. Dadurch eröffnet es brachliegendes Potenzial an hochqualifizierten Fachkräften, das Schweizer Unternehmen fehlt.

Denn Teilzeitarbeit bedeutet einen ungewollten Karrierestopp – verantwortungsvolle Aufgaben können meistens nicht in einem 60-Prozent-Pensum erledigt werden. Da rund 60 Prozent der Frauen einem Teilzeitpensum nachgehen, bei den Männern sind es nur 18 Prozent (BFS, 2020), betrifft dies vor allem die weiblichen Arbeitnehmerinnen. Der Grund: Hierzulande kümmern sich meistens die Frauen um die Kinder und die pflegebedürftigen Angehörigen. Als Konsequenz sind Frauen in der Schweiz in Führungspositionen auffallend untervertreten. In Verwaltungsräten beträgt der Frauenanteil lediglich 23 Prozent, in Geschäftsleitungen von Unternehmen sogar nur 10 Prozent (Schillingreport 2020). Und das, obwohl mittlerweile mehr Frauen als Männer über eine eidgenössische Maturität verfügen und mehr als die Hälfte aller Studierenden an den universitären Hochschulen weiblich ist. Jobsharing kann also dazu beitragen, dieses Potenzial für sich zu gewinnen.

Jobsharing: Eine Definition

Jobsharing bedeutet, dass sich zwei oder mehrere Mitarbeitende eine Vollzeitstelle in gemeinsamer Verantwortung und mit voneinander abhängigen Aufgaben teilen. Die beiden Mitarbeitenden treten als Einheit auf und werden als solche beurteilt. Bei einem «reinen Jobsharing» sind zwei Mitarbeitende mit
einem Vertrag angestellt, es gibt ein Email-Konto und beide arbeiten an denselben Aufgaben. Ein «hybrides Jobsharing» ist es, wenn die Arbeitnehmenden je einen Einzelvertrag unterzeichnen. Dabei arbeiten beide zwar an eigenen Projekten, tragen aber gemeinsam die volle Verantwortung und die Aufgaben bleiben
austauschbar. Im Gegensatz zum «Jobsplitting», das eine Aufteilung einer Vollzeit- in Halbzeitstellen bezeichnet. Wenn sich zwei Führungskräfte einen Job teilen, spricht man von «Topsharing» – was früher undenkbar gewesen wäre, ist heute nicht mehr abwägig.

Vor- und Nachteile von Jobsharing

Nichts hat nur Vorteile. Auch bei Jobsharing gibt es Herausforderungen. Selbstredend benötigt es einen höheren Koordinationsaufwand – zwischen den Partnern, die sich einen Job teilen, sowie im Team. Um den Informationstransfer zu gewährleisten, ist ein gemeinsamer halber Tag ratsam, an dem auch alle Teammitglieder anwesend sind. Zudem ist die Administration und Führung aufwändiger als bei nur einem Mitarbeitenden. Nicht zuletzt kann Jobsharing gerade für KMU ein komplexeres Rekrutierungsverfahren bedeuten. Denn das Tandem funktioniert nur, wenn die Chemie zwischen den Partnern stimmt. Die Frage ist nun: Überwiegen die Nachteile die Vorteile? Wohl bei Weitem nicht.

Das Unternehmen gewinnt für eine Stelle die doppelte Kompetenz, Erfahrung und Ideen zum Preis von einer. Die Gefahr eines Burnouts ist geringer, da die Last verteilt ist. Vor allem aber ist eine höhere Präsenz gewährleistet – ist eine Partnerin in den Ferien oder fällt aus, übernimmt die andere, die sowieso jederzeit über alles informiert ist. Personalengpässe reduzieren sich somit und wie eingangs erwähnt, können Unternehmen mit Jobsharing auch dem Fachkräftemangel etwas entgegensetzen. Verschiedene Studien zeigen zudem, dass die Produktivität der Mitarbeitenden steigt, wenn sie zufrieden sind und in einem Pensum von weniger als 80 Prozent arbeiten.

Nachfolge im Tandem

Jobsharing kann auch die Antwort auf eine der drängendsten Frage vieler KMU sein: Wer übernimmt die Nachfolge, wenn die Babyboomer in den nächsten Jahren pensioniert werden? Mit einem intergenerationellen Jobsharing – wenn beide Partner mindestens 10 Jahre Altersunterschied aufweisen – wird das wertvolle Know-how an jüngere Generationen langfristig weitergegeben. Im Gegenzug profitiert die ältere Person vom technischen Wissen und von den Kompetenzen der Nachwuchskräfte. Ausserdem ist es ihr dadurch möglich, langsam das Pensum und Tempo etwas zu reduzieren und trotzdem eine anspruchsvolle Tätigkeit auszuüben.

Mehr als nur ein Trend

Wer nur Vollzeitstellen anbietet oder Teilzeitstellen mit wenig Verantwortung, wird viele Talente verlieren. Denn kann eine Frau nach dem Mutterschaftsurlaub nicht ihren verantwortungsvollen Posten behalten, wird sie mit grosser Wahrscheinlichkeit das Unternehmen verlassen – mitsamt ihrem Wissen. Zudem hat sich auch die Lebensrealität der Männer gewandelt. Auch sie haben zunehmend das Bedürfnis, Teilzeit zu arbeiten. Sei es, weil sie sich an der Erziehung der Kinder beteiligen, sie verschiedene Berufe kombinieren oder sich mehr Selbstbestimmung wünschen. Grossunternehmen können es sich schon lange nicht mehr leisten, gesellschaftspolitische Themen wie Diversität, Chancengleichheit und Work-Life-Balance zu ignorieren. Auch KMU werden dazu immer mehr Stellung nehmen müssen.

Jobsharing-Modell

Jobsharing hat viele Gesichter und Optionen. Je nach Bedürfnis ist das Arbeitszeitmodell anpassbar.
Mögliche Varianten sind:

  • Zwei Personen teilen sich ein 100% Pensum in wöchentlicher Aufteilung von je 50%.
  • Eine Person arbeitet 60%, die andere 40%. Beide haben einen gemeinsamen Vormittag sowie einen gemeinsamen freien Nachmittag.
  • Mittleres Kader: Beide Personen arbeiten 60%, wobei die Leitungsfunktion mit je 50% geteilt wird, in den je übrig  bleibenden 10% wird Projektarbeit erledigt.
  • Topsharing: Beide Führungskräfte arbeiten 70%, wobei sie quartalsweise die Führung übernehmen. Während Person A für drei Monate die gesamten 70% als Chef abdeckt, ergänzt Person B mit 30% und arbeitet in den verbleibenden 40% als stellvertretender Chef. Im darauffolgenden Quartal wird die Situation umgekehrt.

Quelle: Ratgeber «Go for Jobsharing» 2020